Vulkantour La Palma
Unterricht am Kraterrand
Schüler des Humboldt-Gymnasiums folgen mit einer Vulkanexpedition auf den Kanarischen Inseln den Spuren Humboldts
„Unsere Schule ist sehr gut und für ihr Engagement können wir den Lehrern nur danken“. In Zeiten, in denen das Wort Schule kaum positive Assoziationen erzeugt, lassen solche Bekenntnisse aufhorchen. Das Lob der Schülerinnen und Schüler des Humboldt-Gymnasiums in Tegel kam aus vollem Herzen und an einem ungewöhnlichen Ort – in zehn Kilometern Höhe über dem Atlantik.
Für eine Woche Ende März tauschten 17 Gymnasiasten und drei Lehrer ihre Berliner Klassenräume gegen eine 726 Quadratkilometer große Lernlandschaft. Auf La Palma, der nordwestlichsten der Kanarischen Inseln erlebten und untersuchten sie direkt vor Ort Naturphänomene wie urzeitlichen unterseeischen Vulkanismus oder die Abfolge der Vegetationszonen in den Bergen der Insel. Professionelle und zugleich eine sehr persönliche Unterstützung stand ihnen dabei unter anderem mit Silke Triebold, Vulkanspezialistin an der Universität Göttingen, zur Seite. Mit GPS und modernster Geotechnik begleitete sie die Schülerinnen und Schüler bis hinunter in die Felsspalten der palmerischen Vulkane. „In die Magmaröhren hinabzusteigen war nicht ganz ungefährlich“, erinnert sich die 17-jährige Schülerin Anna Jozwiuk. „Aber es ist faszinierend, dass die Insel aus einem Vulkan entstanden ist“.
Die Schüler der naturwissenschaftlichen Profilkurse Physik, Biologie sowie der Arbeitsgemeinschaft „Jugend forscht“ verbrachten trotz des sonnigen Wetters auf der Insel kaum Zeit am Strand. Aufgeteilt in Gruppen von Biologen, Geologen und Astronomen hatten ihre Lehrer für jeden Tag eigene Forschungsaufträge entwickelt. Ob bei der Besteigung des Vulkans San Antonio, der Durchquerung der Caldera de Taburiente, eines riesigen Erosionskraters, oder aber den Wanderungen in den Lorbeerwälder – stets verfolgten die jungen Forscher die lang im voraus gesteckten Lernziele. Während die Geologen unter ihnen Gesteinsproben sammelten, um anhand der verschiedenen Lavaformen Rückschlüsse auf geologische Prozesse während des Ausbruchs ziehen zu können, erarbeiteten die Biologen Höhenprofile der palmerischen Pflanzenwelt. Und auch lange nach Einbruch der Dämmerung ging die Arbeit weiter. Insbesondere die Astronomen warteten dann auf ihren Einsatz. Ähnlich wie die Observatorien auf dem höchsten Berg La Palmas, dem Roque de los Muchachos, maßen sie die Lichtverhältnisse unter dem Sternenhimmel. Mit den von Siemens gesponserten Laptops entstanden so noch nachts Geländeskizzen und erste Forschungsberichte. Joachim Kranz, Organisator der „Vulkanexpedition 2002“ ist stolz über den Lerneifer seiner Schüler: „Alle haben großartig mitgemacht. Selbst nach den anstrengendsten Touren bei Hitze oder Windstärke acht wollten die Schüler abends noch ihre Fundstücke auswerten.“
Unterricht am Kraterrand des Vulkans Teneguia im Süden La Palmas
Von so viel eigenem Ehrgeiz waren sogar die Schüler überrascht. „Ich hatte es mir erst gar nicht so spannend vorgestellt“, bekennt der 18-jährige Daniel Mohnke, „aber dann kamen uns immer mehr Fragen, zum Beispiel warum bestimmte Pflanzen nur an Nordhängen wachsen. Wir haben greifbare Ergebnisse herausbekommen, das hat uns angespornt.“
Für Joachim Kranz, der schon vor über einem Jahr mit den Vorbereitungen zu der Vulkanexpedition begonnen hat, hat sich der Aufwand mehr als gelohnt. Der engagierte Lehrer für Physik, Chemie und das an Berliner Schulen einmalige Fach Technik und Natur wurde noch vor wenigen Monaten belächelt. Nicht alle glaubten, dass er es schaffen würde, die elf Mädchen und sechs Jungen des Humboldt-Gymnasiums über den 27. Breitengrad zu fliegen. Doch dem Naturwissenschaftler war die Vulkanexpedition ein besonderes Anliegen. Nicht nur, weil 2002 das Jahr der Geowissenschaften ist. Alexander von Humboldt, der Namenspatron der Schule, verarbeitete nach dem Besuch der Nachbarinsel Teneriffa 1799 seine Erkenntnisse über den Vulkanismus des Kanarenarchipels in Publikationen, die bei den Geoforschern damals einiges Aufsehen erregten. In diesem Jahr nun feiert das Humboldt-Gymnasium sein hundertjähriges Bestehen. Vielleicht treten einige seiner Schüler demnächst in die Fußstapfen des großen Vorbilds. Anna Jozwiuk weiß jetzt schon: „Nach dem Abitur will ich Chemie oder Biochemie studieren.“
Was die Gymnasiasten an Datenmaterial gesammelt haben, verschwindet nicht etwa im Schularchiv. Der Botanische Garten Berlin, das Geoforschungszentrum Göttingen und alle anderen Sponsoren, ohne die die „Vulkanexpedition 2002“ ein Traum geblieben wäre, erwarten gespannt die Forschungsberichte. Am Mittwoch, dem 22. Mai präsentieren die Teilnehmer ihnen und ihren Mitschülern die multimedial aufbereiteten Ergebnisse in der Aula (?) des Humboldt-Gymnasiums Tegel.
Eine neue Expedition dieser Größenordnung wird es so schnell nicht wieder geben. Joachim Kranz weiß bei aller Euphorie genau: „Das war eine große Ausnahme“.
Anke Assig
Pressestelle
Humboldt-Universität Berlin
(entstanden auf einem zufälligen Treffen in der Caldera von La Palma und dem gemeinsamen Rückflug)